William T. Mortensen - "Belichte auf die Lichter, entwickle auf die Schatten"


From Robert Balcomb's book
 "Me and Mortensen"


Um die Welt bzw. die Technik von Mortensen zu verstehen, zunächst einige Sätze zu ihm selbst:


Mortensens Bilder und Schriften über das Medium Fotografie sind ebenso wichtig, wie die von Ansel Adams (Zonensystem), obwohl sein Werk zu Unrecht ignoriert und übersehen wurde. Mortensens Bilder - und die dahinter stehende Philosophie - wurden von Adams und Weston, den primären Künstlern, die das aufsteigende Genre der "geraden" oder "puristischen" Fotografie anführen, mit Verachtung betrachtet. Als das puristische Ideal das Feld dominierte, wurden andere Ansätze wie Mortensens "kreativer Piktoralismus" vom Kunstbetrieb in Vergessenheit gebracht.
In den 1980er Jahren begann sich die Windrichtung zu Mortensens Gunsten zu wenden, und seither nimmt das Interesse an seinem Werk wieder zu. Für das ungebildete Auge könnten viele seiner Bilder mit digitalen Manipulationen verwechselt werden, obwohl sie schon lange vor der Erfindung des Heimcomputers entstanden sind.




Mortensen schöpfte aus weit gefächerten Bereichen - Literatur, Kunst, Geschichte und Psychologie- und deshalb sind seine Erklärungen weitaus faszinierender als bei anderen Fotografen, deren Schriften lediglich der Dokumentation ihrer eigenen Technik dienen.

Im Januar 1936 wandte sich der Verleger Richard Simon an Mortensen, um ein umfassendes Handbuch für technische Fotografie zu schreiben, das vollständig illustriert und zwischen dreihundert und siebenhundert Seiten lang ist. Darauf hin erklärte Mortensen:



Agfaphoto  APX100 @ ISO 320,
 in 510-Pyro 3h30min Standentwicklung

"Die Wahrheit ist, dass ich nicht geeignet bin, ein akademisch "fundiertes" Buch zu schreiben. Ich bin radikal, persönlich und voreingenommen - und wenn ich einen Kopf sehe, kann ich ihn treffen.Ich habe ein System, und ich bin ein fanatischer Verfechter dieses Systems. Fotografen der älteren Schule versichern mir, dass mein System fantastisch, unwissenschaftlich und subversiv ist. Meine unwissenschaftliche Begründung ist, dass es funktioniert (Anmerkung. Wie ich zeigen werde, tut es das in der Tat!), und dass fast fünfhundert Schüler von mir das Gleiche gefunden haben. Was mein Schreiben von vielen, viel mehr gelehrten und fundierten Büchern unterscheidet, ist die persönliche Qualität und der respektlose Umgang mit geliebten und alten Bugaboos des Berufsstandes. Das Paradoxe daran ist, dass meine Helden scheinbar mehr auf künstlerischer Tradition beruhen, als die Warnkonventionen der Old school-Fotografen".


Mortensen ist also mehr als nur Technik. Es ist ein Gesamtkonzept. 
Dennoch habe ich zunächst versucht, hinter seine Technik zu kommen, was nicht einfach ist. Man muss dazu mehrere seiner Bücher lesen, Aufzeichnungen seiner Studenten heranziehen und eigene Versuche fahren. Aber es ist durchaus reproduzierbar!
Er schreibt dazu selbst mit Bezug auf sein Buch "Mortensen on the Negative":

"Viele Amateure, die diese Worte lesen, scannen nun die Datenlisten mit einem eifrigen und lüsternen Auge. 'Hier', sagen sie, 'steht, wie es gemacht wird.'
Könnte ich sie erreichen, würde ich Ihnen antworten: Nein, Kinder, so wurde es nicht gemacht. Die Daten sind nur Knochen und Knorpel, von denen alle guten Säfte abgekocht wurden. Die Datenlisten sind in allen Details wahr, aber (für die Person, die Bilder machen will) sind sie die am wenigsten wertvollen Informationen, die das Buch enthält."

In der Tat ist das Beherrschen der Technik notwendig, Blickfang und Blickführung sind aber weitere wesentliche Themen von Mortensen. Dazu werde ich auch noch etwas schreiben. Zunächst aber zur Technik.

Was unterscheidet nun Mortensen von dem klassischen Zonensystem von Ansel Adams?
Es gibt schon reichlich Verwirrung bezüglich der Belichtung. Ich möchte das an dieser Stelle nicht voll umfänglich wiederholen, man kann es HIER nachlesen .


Die "Puristen", wie Ansel Adams legten Wert auf besondere Schattenzeichnung, deshalb auch deren Leitsatz "Belichte auf die Schatten und entwickle auf die Lichter". I.d.R. erhält man dadurch auch kürzere Entwicklungszeiten.
Mortensen war hingegen der Ansicht, dass man mit einer verkürzten Entwicklung dem Negativ keinen Nutzen erweist, da es ohnehin - im Gegensatz zum Auge - darin begrenzt ist, Tonwerte zu verifizieren. Insbesondere besteht die Gefahr, dass gerade die psychologisch wirksamen und wichtigen Halbtöne in den Lichtern abgeflacht werden. Lichter sind für die Blickführung essentiell, da der Mensch diese besonders wahr nimmt.


Aufgefallen ist Mortensen dieses durch das Studium von Malereien, insbesondere auch des niederländischen Barocks. Jeder kennt wohl Vermeer's "Mädchen mit dem Perlenohrring". 
Man sieht sehr deutlich an dem Histogramm, dass die Lichter gespreizt sind und fein nach rechts auslaufen. 
Mit der "Methode Mortensen" kann man das ebenfalls in der Fotografie erreichen. Auch hier wird der Blick direkt auf die Person gelenkt, dank der subtilen Tonwertdifferenzierung in den Lichtern.
Hier sagt Mortensen zu den fotografischen Puristen:

 "Die Realisten haben großen Wert auf die Reinheit ihrer Kunst gelegt - 'reine Fotografie', unverschmutzt durch eine der Methoden, Manierismen oder Qualitäten der grafischen Kunst, der Malerei, Zeichnung, Radierung, etc. 'Reinheit' soll darin bestehen, den fotografischen Ausdruck auf die mechanisch objektive Darstellung zu beschränken, die der unkontrollierten Kamera innewohnt, und Prozesse auf den einfachsten und primitivsten Typ zu beschränken. So findet der photochemische Prozess, wo die Katze sich in den Schwanz beißt, seine Verwirklichung in sich selbst."

-------------

Kleiner digitaler Einschub

Man kann die "Methode Mortensen" übrigens auch sehr gut mit seiner Digitalkamera üben, indem man auf die Lichter belichtet (also diese nicht ausbrennen lässt) und die Schatten dann einer RAW-Entwicklung unterzieht. Dies setzt allerdings einen Dynamikumfang der Digitalkamera voraus, welcher dem von Film entspricht - in diesem Fall 12,5 Blenden meiner Panasonic Lumix GX8 bei ISO 100.
An diesem Beispielen erkennt man auch den malerischen Eindruck, der dadurch entsteht.


--------------

Dies nur am Rande und weiter geht es mit Analog, wo ich auf das Zonensystem Bezug nehmen werde, um Mortensen zu erklären. Das hört sich zwar widersprüchlich an, jedoch sind Belichtung und Negativdichte physikalisch-chemische Eigenschaften und damit methodenunabhängig.

Hier zunächst ein Bild zur Leistungsfähigkeit der Methode, insbesondere bei niedrigem Kontrast.
Diese Aufnahme hatte ich innen bei stark bewölktem Himmel und Tageslicht gemacht. Also extrem gedämpfte, flaue Kontraste. Trotzdem schafft man es nach der Methode Mortensen die unterschiedlichen Weißtöne zu differenzieren. Dies setzt einerseits die Kenntnis des Zonensystems voraus (Kontrastanpassung), sowie die Methode Mortensen (belichten auf die Lichter und Standentwicklung zur Tonwertspreizung). Für eine Digitalkamera wäre es ein Klacks, für Analog ist es Handwerk.

Agfaphoto APX 100 @ ISO 320, 510-Pyro 1+500  3,5 Stunden Standentwicklung

Ein geringer Anteil an ausgebrannten Lichtern (Mullbinde oben) habe ich toleriert, da es den Eindruck von gerichtetem Licht verstärkt obwohl es kaum wahrnehmbar war. Die Schatten unten in der Ecke rechts sind noch differenziert. Mit dem bloßen Auge waren diese Nuancen in den Weißtönen kaum erkennbar, der Spotmesser konnte die Lichter kaum erfassen, da alle Weißtöne im Bereich von unter einer Blende lagen. 




Was ist nun der "Trick" bei Mortensen?
- der theoretische Teil


Je nach Über-/Unter- Belichtung/Entwicklung erhält man unterschiedliche Negative. folgende Tabelle gibt einen Überblick zu den jeweiligen Eigenschaften.




Die Standardbelichtung/Standardentwicklung #5 ist quasi das Zentrum der Zielscheibe, welches von vielen Fotografen versucht wird, zu treffen. Dies setzt eine gute Belichtungsmessung und eine quasi sekundengenaue Stoppuhr bei der Entwicklung voraus. So bewundernswert dieses Bemühen um Präzision und Perfektion auch sein mag, es ist eine Tatsache, dass eine solche Verliebtheit in das Standardnegativ den Verlust von viel Zeit und Anstrengung mit sich bringt und oft zu sehr gleichgültigen Ergebnissen führt. Obwohl es das "wissenschaftlich genaue" Negativ ist, ist es nicht unbedingt das "perfekte Negativ" für einen bestimmten Zweck oder bestimmte Bedingungen. Das Standardnegativ zeigt zahlreiche praktische und bildliche Nachteile auf.


Die Negative #2, #4, #6 und #8 sind indifferent, d.h. sie können brauchbar sein, oder auch nicht. 

Die Negative #1 und #9 sind unbrauchbar für die Fotografie

Negativ #3 ist überbelichtet und unterentwickelt.

Der Lichtbereich weist sehr geringe Abstufungen auf. Die eingeschränkte Entwicklung verhindert jedoch, dass der Lichtbereich vollständig blockiert wird, so dass es beim Vergößern eine gewisse Illusion von Halbtönen gibt, die tatsächlich nicht vorhanden sind. Darüber hinaus gibt es aufgrund der Überbelichtung Zeichnung im Schatten, während die begrenzte Entwicklung verhindert, dass diese Details zu dominant werden. Das Negativ #3 ist von allen verwendbaren Varianten das am einfachsten zu erhaltende und das sicherste in den Ergebnissen. Überbelichtung (innerhalb vernünftiger Grenzen) stellt sicher, dass man zumindest ein erkennbares Bild auf dem Film erhält, während die Unterentwicklung dafür sorgt, dass das Bild vergrößerungsfähig ist. Es ist zwar nicht von bester Qualität, aber es ist dasjenige, wessen man immer sicher sein kann und welches eine "akzeptables" Positiv ergibt.  Deshalb war es das "logische" Negativ für den journalistischen Fotografen, wenn man spontan und unter den widrigsten Umständen produzieren muss und die Arbeit davon abhing.  Ein #3 Negativ ist tolerant hinsichtlich der Belichtung, aber wenig tolerant bezüglich der Entwicklung (sehr kurze Zeiten!)
Mortensen schreibt:

"Am bekanntesten unter ihnen ist möglicherweise Dr. Paul Wolff, aufgrund der weiten Verbreitung seiner 'Erfahrung mit der Leica'.
Der Amateur gerät sofort in Schwierigkeiten, sobald er versucht (wie immer), dieser Art von Fotografie nachzueifern. Er sieht wirkungsvolle Bilder, die bei sehr kontrastreichem Tageslicht gemacht werden. So stellt er sein Modell sofort unter starkes Sonnenlicht und macht seine Belichtung - mit welchen schrecklichen fotografischen Ergebnissen wir alle wissen; wenn es ihm gelingt, etwas in den Schatten zu bekommen, sind die hellen Bereiche leer und ohne Gradation; und wenn es ihm gelingt, etwas in den hellen Bereichen zu retten, sind die Schatten schwarze, leere Löcher.
Jetzt, unter solch drastischen Bildbedingungen, ist das Nummer 3 Negativ - überbelichtet, um etwas in den Schatten zu bekommen, unterentwickelt, um die Lichtfläche druckbar zu halten - das einzige, die möglicherweise verwendet werden kann. Dr. Wolff weist ausdrücklich auf ein solches Negativ hin: "Reichlich exponiert und kurz, ganz zart entwickelt". Das Nummer 3 Negativ ist, wie ich sagte, das einzige, welches unter diesen ungünstigen Bedingungen verwendet werden kann (Anm.: hoher Kontrastumfang); aber diese Bedingungen sind nicht zum Besten der Fotografie - auch nicht in Deutschland.
Eine offene Bewertung der Arbeit von Dr. Wolff und anderen dieser Schule wird offensichtliche fotografische Mängel aufzeigen. Beachten Sie zum Beispiel die Wiedergabe von Hauttönen. Es gibt dort keine wirkliche Abstufung; es gibt bestenfalls eine gefälschte Abstufung, die durch die Verwendung von Pan-Film mit Filter erreicht wird. Weder gibt es vereinzelt Spitzlichter, noch gibt es eine ausreichende Trennung des Weiß der Augen und Zähne vom allgemeinen Ton des Fleisches....
Für die fotografisch ungünstigen Umstände, die sie wählen, machen diese Fotografen sicherlich das Beste daraus, indem sie das Negativ #3 verwenden. Aber mit etwas Wartezeit könnten sie viel besseres Licht erhalten und mit Hilfe des 7D-Negativs Bilder mit Halbtönen und einer kräftigen Präsentation sichern. Halbtöne und deren Abstufung sind der einzigartige Beitrag des fotografischen Mediums, und wer sie für die plakative Wirksamkeit aufgibt, macht einen sehr schlechten Tausch."

------------

Hier ein Bild von Paul Wolff von 1928, was die Aussage von Mortensen gut untermauert. Ohne Zweifel eine tolle Bildsprache, aber schauen wir einmal auf Hauttöne und Spitzlichter eines #3 Negatives. Die Lichter sind sehr stark komprimiert und daher fast einheitlich Grau.











Hier hingegen die differenzierten Tonwertabstufungen eines 7D-Negativs (folgt) von Mortensen.

 ---------------------


Das Negativ #7 liegt in der gegenüberliegenden Ecke von #3 und resultiert aus einer entgegengesetzten Variation der Komponentenfaktoren Belichtung und Entwicklung. Es ist eine Unterbelichtung und eine Überentwicklung.

Obwohl deutlich schwieriger als #3, ist das Negativ #7 in der Praxis leichter zu gewinnen, als das Standardnegativ #5. Das "Über"-Element in der Entwicklung bringt ein gewisses Maß an Flexibilität in das Verfahren. Da die Unsicherheiten der Exposition im Falle des #3 Negativs durch absichtliche Überbelichtung gelöst werden, vermeidet das Negativ #7 das Problem der präzisen Standardentwicklung, indem es alle Negative vollständig entwickeln lässt ("Development Infinity").
Negativ #7 oder noch besser die #7D (Ableitung) eignen sich am besten für Bild- oder Portraitarbeiten. Es ist an die Verwendung des Piktorialisten angepasst, nicht nur durch die Tatsache, dass es einfacher zu erhalten ist als das streng genaue Standardnegativ #5, sondern auch durch seine eigentümliche und charakteristische Wiedergabe von hellen und dunklen Halbtönen im Motiv


Es geht also generell darum, in Mitteltönen und in den Lichtern gute Halbwertöne zu erhalten und diese zu spreizen. Deshalb eignet sich die 7D- Methode Mortensen besonders für kontrastarme Situationen. Ich werde aber auch noch zeigen, dass dies für Normalkontrast ebenfalls möglich ist.

Mortensen arbeitet mit einem unterbelichteten Negativ (da auf die Lichter belichtet). Damit wird sicher gestellt, dass die Lichter im linearen Bereich der Dichtekurve liegen und die Tonwerte optimal wiedergegeben werden.


Zusammenfassung:


  • Durch die Belichtung (Zone V) auf die Lichter stelle ich sicher, dass die oberen Tonwerte im linearen Bereich der Dichtekurve zu liegen kommen. 
  • Dadurch bekomme ich eine optimale Tonwertdifferenzierung in den Lichtern.
  • Durch eine lange Standentwicklung in einem verdünnten Entwickler schiebe ich die Lichter wieder in die oberen, jetzt linearen Zonen und hebe die Schatten an.
  • Verluste in der Schattenzeichnung kann ich durch eine Vorbelichtung des Negatives kompensieren, falls notwendig. I.d.R. sollte man sich auf helle Objekte beschränken, wo die Schatten kaum Information tragen.
  • Die Methode funktioniert bestens bei sehr flachen Szenenkontrasten und indirektem Liucht (innen oder außen bei bewölkt). Durch die Anhebung der Lichter wirken die Bilder aber kontrastreich/sonnig.
T-max 100 @ ISO 250, 5 Stunden Standentwicklung in 510-Pyro 1+500

Von der Theorie zur Praxis


Mortensen hat eine Art Checkliste verfasst, die ich noch ergänzt habe.

  • Wir brauchen primär flaches Licht für eine optimale Wirkung. Der Gesamtkontrast sollte nicht mehr als 3 Blenden betragen. Eine Anwendung bis hin zu Normalkontrast 5-6 Blenden ist aber auch möglich. Eine Kontraststeuerung folgt wie gewohnt dem Zonensystem, "Belichtung auf die Lichter" dann noch "on top").
  • Bei diesem Bild hatte ich wegen wechselnder Bewölkung den T-max 100 @ ISO 200 belichtet. Man erkennt, dass Mortensen auch mit hohen Kontrasten gut klar kommt. Eine Belichtung mit @ISO 64 (die eigentliche Nennempfindlichkeit in 510-Pyro) wäre sicher noch besser gewesen für die Wolken und Schattenzeichnung. Belichtet wurde auf die hellsten Fassadenteile des Gebäudes.
Tmax 100 @ ISO 200, Standentwicklung in 510-Pyro 1+100, 2 Stunden


  • Einen Film mit klarem Träger für Nuancen in den Schatten . Wie schon erwähnt, kann man sich auch der Vorbelichtung bedienen, um die Schatten anzuheben. Im Prinzip eignen sich alle Filme. Wegen der langen Standentwicklung kommt es aber zu vermehrt Kornwachstum, deshalb habe ich mich für Kleinbild primär auf den T-max 100 und den Adox CMS 20II beschränkt. Im Mittel- oder Großformat sollte es aber keinerlei Einschränkungen geben.
  • Messung auf die Lichter. Dies erfordert eine Spotmessung, da gerade bei flachem Kontrast die Messung genau sein muss.

  • Ausentwicklung (development gamma infinity). Initalbewegung 5 Minuten für eine verbesserte Schattenzeichnung, Rest Stand mit 1x Kipp pro Stunde. Die Standentwicklungszeit sollte ca. 1,5 bis 2 Stunden betragen, um eine optimale Tonwertdifferenzierung zu erhalten.

    Was bedeutet Ausentwickeln (development gamma
     infinity)? 
  • Natürlich entwickeln wir den Film nicht bis er schwarz wird, sondern stellen die Verdünnung des Entwicklers so ein, dass wir nach 1,5 bis 2 Stunden in den Lichtern eine solche Dichte erreichen, dass man gerade dadurch noch ohne Anstrengung eine Zeitung lesen kann. Dies entspricht etwa der Dichte der Zone VII nach dem Zonensystem, also ungefähr einer Dichte von 1,22.
    Bis zu 5% an Spitzlichtern höherer Dichte ist zulässig. Dies wird im Wesentlichen durch die Entwicklungsdauer beeinflusst.


    Zur Entwicklerwahl sind die Angaben von Mortensen heute nicht mehr 1:1 umsetzbar, da es diese Entwickler teilweise nicht mehr gibt und sich die Emulsionen geändert haben.
    Folgende Kriterien sollten aber erfüllt sein:
    - der Entwickler sollte über die gesamte Entwicklungsdauer aktiv sein, also kein verdünntes Rodinal oder Zweibad, was zu einem Abflachen der Lichter führt.
    - es sollten Entwickler mit einem relativ niedrigen Potential / niedriger Engerie benutzt werden, um ein langsames Ausentwickeln sicher zu stellen. Das sind besipielsweise solche auf der Basis von Pyrogallol oder Glycin. Auch Metol-Hydrochinon (MQ) Entwickler sind geeignet, sofern nicht zu alkalisch, also solche beispielsweise mit Natriummetaborat als Base.
    Auch noch langsamer Entwickler auf der Basis von Brenzkatechin sind einsetzbar.

    Ich habe mich für 510-Pyro als Entwickler entschieden. Informationen zu diesem Entwickler GIBT ES HIER. Die Vorteile sind:
  1. Zusammen mit dem T-max 100 steigt die Entwicklungsdauer bei Unterbelichtung (push) nur linear an und nicht exponentiell, wie bei anderen Filmen (-> kein starkes Kornwachstum).
  2. Unabhängig von der Bewegungsart und Dauer ändert sich das Profil der Dichtekurve nicht.
  3. Hoch ökonomisch da stark verdünnt bei langer Standentwicklung mit 1+200....1+500. Der Verdünnungsgrad kann leicht angepasst werden, so dass man auf die vorgegebene Entwicklungszeit von 1,5 bis 2 Stunden kommt. Halbe Konzentration - > doppelte Entwicklungszeit.
  4. Hoher Kantenkontrast, da ein gerbender Entwickler. Negativ wird bei der Entwicklung gehärtet,
  5. deshalb kann man nach ca. der Hälfte der Entwicklungszeit auch panchromatische Filme unter gedämpftem Rotlicht beobachten, da Pyro den Film desensibiliert. Dies ist auch mit anderen gerbenden Entwicklern möglich (Tanol, Brenzkatechin,....). "Development infinity" ist erreicht, wenn sich auf der Rückseite der Emulsion (unfixierter Film) die Spitzlichter, von den ich oben sprach, klar durchzeichnen und sich die Lichter abzeichnen. Auf der Emulsionsseite sollte dann auch eine ausreichende Schattenzeichnung vorhanden sein.  Ich habe zeige dies hier im Video. Um die optimale Belichtung zu finden, habe ich ein Bracketing eingesetzt. 



Ergebnisse eigener Versuche


Diese Bilder wurden im Wuppertaler Zoo gemacht. Es war ein stark wolkenverhangender Morgen mit einem Gesamtkontrast der Motive von nur etwa 2 Blenden. Jeder andere Analog-Fotograf wäre wahrscheinlich wieder nach Hause gegangen.

1. Anpassung Kontrastumfang
der Tmax-100 bringt in 510-Pyro Entwickler eine Nennempfindlichkeit von ISO 64. Nennempfindlichkeit bedeutet ja 5 Blenden Kontrastumfang von gezeichnet Schwarz bis gezeichnet Weiß. Um jetzt den Kontrast (nach Zonensystem) entsprechend anzupassen, habe ich ISO 350 eingestellt. Das entspricht einer Unterbelichtung von N-2,5.

(Um zu vermeiden, dass die Schatten bei der starken Unterbelichtung ohne Zeichnung sind, wurde der Film vorher mit einer Zone I Belichtung vorbelichtet.)

2. Messen auf die Lichter
Das brachte noch einmal ca. 1 Blende Unterbelichtung bei diesem Kontrast durch Messen auf die Lichter, so dass insgesamt eine Unterbelichtung von N-3,5 resultierte, also schon eine massive Unterbelichtung.
Messen auf die Lichter deshalb, weil ich damit sicher stelle, dass keine wichtigen Tonwerte darüber liegen und alles im linearen Bereich der Dichtekurve bleibt.

3. Bracketing
Mit dem Messwert (auf die Lichter) wurde ausgelöst und sicherheitshalber noch zusätzlich ein Bracketing von +1/3 und +2/3 Blende gemacht. Der +1/3 Wert sollte sich als optimal heraus stellen.

4.  Entwicklung
Es wurde in 510-Pyro, Verdünnung 1+200 4 Stunden entwickelt und zwar die ersten 5 Minuten in der Hand rotiert (für die Schatten) und die restliche Zeit als Standentwicklung, wobei nach jeweils 1 Stunde genau eine Umdrehung rotiert wurde.


Die Resultate überzeugen. Feinste Grauwerte trotz eines trüben Tages und des Kontrastumfang des Films wurde voll ausgeschöpft.


Nun zu einem Wetter mit eher höherem Kontrast sonnig/wolkig in Siegburg

1. Anpassung Kontrastumfang
Eingesetzt wurde der Orwo UN 54 100  (vergleichbar mit Agfaphoto APX 100) @ISO 200. Wegen des hohen Kontrastes hätte ich mich für ISO 100 entscheiden sollen. Durch die N-1 Tonwertspreizung ist die Schattenzeichnung nicht ganz optimal.

(keine Vorbelichtung)


2. Messen auf die Lichter
Bei hohen Kontrasten weichen die Lichter natürlich stärker vom Mittelwert ab, als bei einem niedrigen Kontrastumfang. Dadurch reslutierte eine weitere Unterbelichtung um fast 2 Blendenstufen.

3. Bracketing
-------

4. Entwicklung


Es wurde in 510-Pyro, Verdünnung 1+250 1,5 Stunden entwickelt und zwar die ersten 5 Minuten in der Hand rotiert (für die Schatten) und die restliche Zeit als Standentwicklung, wobei nach jeweils 1 Stunde genau eine Umdrehung rotiert wurde.





Die oberen Tonwerte sind optimal wieder gegeben. In den Schatten könnte etwas mehr Zeichnung sein, aber es gibt den Seheindruck bei diesem Wetter recht gut wieder, denn selbst das Auge konnte beispielsweise bei der Rutschbahn nicht alles erfassen von der gleißenden Rutsche bis zum Baumschatten.


Niedrige Kontraste mit Delta 100
1. Anpassung Kontrastumfang
Es lagen wieder nur um die 2 Blenden Gesamtkontrast vor, deshalb wurde der Delta 100@ ISO 320 eingesetzt, also N-1,5 unterbelichtet.

(keine Vorbelichtung)


2. Messen auf die Lichter. Im Mittel erfolgte dadurch eine weitere Unterbelichtung um ca. 1 Blende.

3. Bracketing

--------
4. Entwicklung
510-Pyro in der Verdünnung 1+300, Standentwicklung, wie oben beschrieben.







Der Delta 100 ist ebenfalls sehr gut geeignet für diese Methode.

Wieder bei mehr Kontrast in diversen Parkanlagen rund um Köln

1. Anpassung Kontrastumfang
T-max 100 @ ISO 64 (Normalempfindlichkeit in 510-Pyro)

(keine Vorbelichtung - die Mauer auf dem einen Bild hätte es gebraucht, da voll im Schatten)

2. Messen auf die Lichter
Dadurch eine Unterbelichtung um ca. 2 Blenden im Mittel.

3. Bracketing
+ 1/3, +2/3 Blende. +1/3 Blende hat sich in den meisten Fällen als passend erwiesen.

4. Entwicklung
510-Pyro Verdünnung 1+500, Standentwicklung wie oben beschrieben 5 Stunden





Filme, welche nicht in 510-Pyro entwickelt werden können, wie beispielsweise Mikrofilme, kann man in Caffenol CL ohne Kaliumbromid, jedoch mit 1+1 verdünnt entwickeln. Bei dem Adox CMS 20 II liegen die Entwicklungszeiten dann etwas niedriger, aber der Effekt wird erreicht.


1. Anpassung Kontrastumfang
Adox CMS 20II ISO 6 @ ISO 50, also N-3 wegen geringem Kontrastumfang von unter 2 Blendenstufen, deshalb

Vorbelichtung mit Zone I Belichtung

2. Messen auf die Lichter (wegen des geringen Kontrastumfangs sollte es genau erfolgen).

3. Bracketing
Wegen des geringen Kontrastes +1/3, +2/3 Blendenstufen.

4. Entwicklung in Caffenol CL (ohne KBr) 1+1 verdünnt, auch wieder 5 Minuten initial, dann 45 Minuten Standentwicklung.











Bisheriges Fazit aus den Versuchen

Die "Methode Mortensen" funktioniert hinsichtlich der beschriebenen Technik.

Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass Mortensen in erster Linie Studioaufnahmen gemacht hat, wo er die Lichtsituation im Griff hatte (flaches Licht). Jedoch hat er auch ein Buch über Portraits in der Natur geschrieben.

Das 7D-Negativ ist ein leicht unterbelichtetes Negativ, so dass auch die Schattenzeichnugn noch vorhanden ist. Meine Versuchsbeispiele oben haben da sicher noch Optimierungpotential.

Unabhängig vom /D-Negativ müssen wir auch den Gesamtkontrast im Auge behalten. Hier greift das Zonensystem. Bei niedrigem Kontrast muss zusätzlich zu der Belichtung auf die Lichter noch weiter unterbelichtet werden, um eine angemessene Kontrastspreizung zu erhalten.

Ein Negativ #7 oder #7D ist relativ unempfindlich gegenüber der Entwicklungsdauer, jedoch sehr empfindlich in Bezug auf die Belichtung. Aus diesem Grund empfiehlt Mortensen das Bracketing - zu Recht!

Durch meine Versuche habe ich heraus gefunden, dass je geringer der Gesamtkontrast ist, das Bracketing geringer und
 mit steigendem Kontrast höher ausfallen sollte.

Gesamtkontrast 1-2 Blenden: Bracketing um +/- 1/3 Blendenstufen
Gesamtkontrast 3-4 Blenden: Bracketing um +/- 1/2 Blendenstufen
Gesamtkontrast 5-6 Blenden: Bracketing um +/- 2/3 Blendenstufen


Mortensen ist sicher kein Thema für Analog-Konsumenten, die Filmhopping betreiben, um einen bestimmten "Look" zu finden. Es erfordert schon einige Versuche, Hingabe und kritische Selbstbewertung. Die Methode ist eher Weg, als Ziel. Sie ist aber anwendbar auf Kleinbild, Mittel- und Großformat und durchaus alltagstauglich. Nimmt man sich die Zeit und optimierte eine Film/
Entwicklerkombination entsprechend, stehen einem die Möglichkeiten der malerischen/piktoralen Fotografie offen.




Die Vergrößerung rechts entspräche in Gänze einem 40x50 Abzug.
Ilford FP4+ @ISO 320 und trotz
70 Minuten Standentwicklung noch feinkörnig und scharf.














Mortensen schreibt:

"Das gute Negativ: Das ist der Kern einer guten Fototechnik. Mit einem guten Negativ sind alle Dinge möglich: Ohne es ist nichts möglich.

Das erste Anliegen des Amateurs, der an einen Ort gehen will, muss die Negativqualität sein. Leider ist der durchschnittliche Amateur in dieser grundlegenden Angelegenheit völlig unwissend. Er weiß natürlich, dass man ein Negativ (normalerweise) bekommt, wenn man den Film belichtet und entwickelt; aber er weiß nicht, was die Faktoren sind, die zur Negativqualität beitragen. Tatsächlich erkennt er nicht einmal ein gutes Negativ, wenn er eines sieht. VEREINFACHUNG ist die Lösung für vieles, was mit der Fotografie falsch ist, wie sie heute praktiziert wird."

Aus dem Buch "Mortensen on the Negative"

Das war 1949 und ist auch heute noch aktuell.




Kommentare

  1. Hallo Rüdiger,

    das finde ich ja hochgradig spannend, was du hier in deinem Blog alles schreibst.
    Ich glaube nicht, dass ich das hier alles auf Anhieb verstanden habe. . .
    Wählst du die Unterbelichtung nach dem vorhandenen Objektkontrast, wenn ja wie, nach welchen Regeln?
    Belichtung auf die Lichter, misst du die hellsten Stellen des Objektes oder vielleicht eine Blende weniger oder die wirklich schneeweiße Wolke am Himmel?
    Zu dem Entwickeln habe ich auch noch einige Fragen: Um wieviel verlängert sich ca. die Entwicklungszeit, wenn ich insgesamt 3 Blenden unterbelichte?
    Das ist sicher vom Entwickler und hundert anderen Einflüssen abhängig aber vielleicht so als Richtwert . . .
    Dass man sich in solch ein "System" erst einarbeiten muss, mit vielen Tests, das ist mir schon bewusst. Aber spannend allemal.
    Die Bilder, die du zeigst erinnern mich an "A Homebrew Low Contrast Push Developer: Anneman-Gainer" von Thomas Bayes. Auch er arbeitet mit starker Unterbelichtung. Mit Zweitbelichtung und Belichtung auf die Lichter on top macht das alles erst richtig Sinn. . .
    Auf jeden Fall ist dein Blog einer der besten, die ich bisher gelesen habe. Ich werde dieses "Mortensen - System" auf jeden Fall ausprobieren.
    Ich wünsche dir noch viele spannende Ideen, um sie hier zu zeigen.

    Viele Grüße aus der Altmark
    Ralf

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Unterbelichtung:
      Ich orientiere mich zunächst nach dem Zonensystem und dem Kontrastumfang - also das was auch in den Beipackzettel steht für Push/Pull. Standentwicklung die ersten 5 Minuten initial. Diese lange Initialbewegung ist für die Schatten und kompensiert dann auch noch die zusätzliche Unterbelichtung wegen des Messens auf die Lichter. So grob über den Daumen.
      Um es genau zu machen, muss man die ersten Filme (Bracketing!) visuell bei der Entwicklung kontrollieren. Danach hat man Erfahrung und kann blind nach Zeit entwickeln.

      Belichtung auf die Lichter
      Immer die Lichter des wichtigen Objektes.

      Entwickeln: 3 Blenden Unterbelichtung ist schon heftig. Da kommst Du nicht ohne Vorbelichtung aus, sonst saufen die Schatten komplett ab. Bei sehr flachem Licht mache ich meist so 1,5 bis 2 Blenden an Unterbelichtung.
      Entwicklung +/- nach Datenblatt für Push. Etwas Zugabe ggf. noch.
      Man kann ja gegen Ende unter Rotlicht(gedimmt) den Fortschritt kontrollieren.
      Auf der Trägerseite sollten gerade Spitzlichter als schwarze Punkte erscheinen. Alles war noch Zeichnung in der Vergrößerung haben soll maximal Dunkelgrau (Zone VII-VIII).
      Auf der Emulsionsseite kannst Du sehen, ob Zeichnung in den Schatten vorhanden ist (deshalb Bracketing).

      Sorry, dass ich erst so spät antworte, aber ich vergas eine Einstellung vorzunehmen, die mich benachrichtigt. Gibt es schon Ergebnisse?

      Löschen
  2. Hallo Rüdiger,
    vielen Dank für den tollen Artikel! Bisher kannte ich W. Mortensen und sein Werk gar nicht ... ich werde diese Methode ausprobieren.
    VG, Oliver

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das freut mich Oliver.
      Suche Dir helle Objekte, wo die Schatteninformation drum herum nicht von Interesse ist. Je flacher das Licht, umso besser.

      Löschen
  3. Das liest sich interessant und ich muss mich mal mehr damit befassen.
    Wenn du schreibst "Belichtung auf die Lichter": übernimmst du beim Messen der Lichter dann den Wert des Belichtungsmessers der ja immer Zone V mittleres Grau misst?
    Oder ziehst du wie beim Zonensystem 2 Blenden ab da ja die Lichter mit Zeichnung eher in Zone VII gelegt werden?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, ich nehme den Wert des Belis.
      Durch die Standentwicklung wird dann diese Zone V wieder auf Zone VII angehoben.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Anregungen und frische Ideen immer gerne!

Beliebte Posts